Im Teil „Über uns“ hast du gelesen, dass Tanja im Jahr 2019 einen grösseren medizinischen Eingriff hatte. Im ersten Teil schrieb Tanja über die glückliche Entdeckung der Fuchsbandwurmlarve und wie sie damit umgegangen ist. In diesem zweiten Teil wirst du mehr über die Operation und die Genesung erfahren. Tanja zeigt auch auf, was sie gelernt hat und welche Anpassungen sie vorgenommen hat. Dir werden einzelne Punkte sicher bekannt vorkommen.
Tag der Operation im Inselspital Bern
Ein paar Tage vor der geplanten Operation, unterzeichnete ich noch verschiedene Formulare. Im Spital erklärte mir der Anästhesist die Narkose Möglichkeiten. Er hat mich ebenfalls auf die Risiken und Nebenwirkungen aufmerksam gemacht. Da kam ich noch einmal kurz ins Grübeln. Will ich diesen Eingriff wirklich durchführen lassen? Die Liste der Risiken ist ellenlang.
Der 16. Oktober 2019. Am Tag der Operation (mein 2. Geburtstag) – ich musste bereits 6:30 im Spital sein – wurde es mir dann doch etwas mulmig. Auf der Hinfahrt lief im Radio das Lied Memories von Maroon 5 und mir schwirrten viele Fragen durch den Kopf.
Was wenn allenfalls Risiken während und nach der OP eintreffen? Wird alles gut gehen? Wie läuft das ganze ab? Um mich abzulenken, meinte Etti noch, dass damals bei seiner kleinen Operation, er das Abklingen der Narkose lustig fand. Hm, werde ich das vielleicht auch? Erwache ich überhaupt wieder?
Im Inselspital angekommen fühlte ich mich gut aufgehoben und betreut. Auf einmal waren die Gedanken nicht mehr bei mir, sondern bei anderen Personen. Am meisten Sorgen machte ich mir, um die Menschen die draussen warten „mussten“ – ich war ja weg – wie muss es sein, auf einen geliebten Menschen zu warten?
Meine Mam, mein jüngster Bruder Jan und Etti waren immer „bei mir“ im Inselspital, bis ich dann auf der Intensivstation erwachte. Ein verdunkelter Raum mit vielen Trennvorhängen, unbekannten Geräuschen und Gerüchen. Ich war noch sehr benommen, aber froh einen Teil meiner liebsten wieder zu sehen bzw. bei mir zu haben. Noch während dem zuhören und ersten Sprechversuchen, schlief ich immer wieder ein. In späteren Gesprächen teilten mir meine Mam, Jan und Etti mit, dass sie zu Beginn etwas besorgt waren. Nach den ersten Glücksgefühlen, der überstandenen OP, dann die Sorge. Anscheinend sah man mir die Anstrengung an…
Ich habe es geschafft und nun wird wieder alles wie vorher. Die Zeit von Abschied bis wieder erwachen, stellte ich mir anders vor. Einmal viel länger und intensiver. Ich dachte, ich würde viel mehr träumen und mich daran erinnern. Auch die Schlafdauer war gefühlt unerwartet kurz. Ich erzählte dem Anästhesist noch etwas und schwups war ich eingeschlafen. 3, 2, 1 und die OP war durch, es musste zwar wohl doch etwas länger gewesen sein, denn ich war fix und fertig.
Die Operation verlief etwas komplizierter und länger als erwartet. Auf den vorgängig erstellten Bildern (Ultraschall, CT und MRI) war leider nicht das ganze Ausmass ersichtlich. Der Parasit befiel zusätzlich bereits die Hohlvene und Pfortader. Daher musste noch ein „Ersatzteil“ implantiert werden. Für die verlängerte und kompliziertere Operation wurden ebenfalls zwei Blutbeutel verbraucht. Dieser Bluttransfer und die 7-stündige Narkosezeit machten sich noch lange nach der Operation bemerkbar. Mir wurde oft schnell schwindlig und in meinem Kopf fühlte es sich wie Pudding an. Ich war langsam und vergesslich, lesen (Genesungs-Nachrichten auf dem Natel) war sehr schwierig. Ich nannte es mein Narkosehirn. Es ist nicht mehr so leistungsfähig wie früher.
Genesungszeit im Spital
Wie mir dies damals auch mein behandelnder Chirurg in der Vorbesprechung sagte: „Nicht zu sehr schonen, so wie sie sich fühlen auch Sachen erledigen und in 3 Monaten sind sie wieder die Alte.“ Meine Mam hingegen ergänzte später: „Bitte lass dir Zeit und nimm nicht diese 3 Monate als Besserungs-Marker!“ Wir wissen alle, dass wir die Sorgen unserer Mütter nicht immer verstehen – aber wie ich später feststellte, hätte ich auf sie hören sollen und es mir zu Herzen nehmen!
Bereits am nächsten Tag, durfte ich die Intensivstation verlassen und wurde auf die ambulante Station verlegt. In meinem Zweibett-Zimmer hatte ich die beste Bettnachbarin, die man beim ersten Spitalaufenthalt haben kann! Beim ersten kurzen „Hallo – wer bist du – was hast du?“ Gespräch hat sie mir gleich an Herz gelegt, einfach sein und tun, wie mir gerade danach ist. „Schäme dich dafür bitte nicht!“. Wir hatten interessante Gespräche und haben sogar am gleichen Tag Geburtstag. Positive Voraussetzungen für einen guten Spitalaufenthalt und eine rasche Genesung. Ich genoss viel Besuch von lieben Menschen, erhielt aufmerksame Betreuung des Pflegefachpersonals und der Ärzte. Meine Genesung wurde optimal unterstützt. Ein kleiner Farbklecks war das fehlende Verständnis des Ernährung-Fachpersonals bezüglich meines aktuell nicht so grossen Hungers. Mir fehlte nichts… ah doch… die halbe Leber, die entfernt wurde. 😉
Tag für Tag konnte ich etwas weiter und auch länger laufen. Wie vom Arzt empfohlen bewegte ich mich so oft es ging, um dem Muskelschwund entgegenzuhalten.
Home sweet Home – erste Schritte zurück zur Normalität
Ich wurde nach 5 Nächten aus dem Spital entlassen (dank guter Führung heisst es doch) und konnte wieder nach Hause. Erst da bemerkte ich, wie schlapp ich wirklich war. Bereits nach wenigen Treppenstufen fühlte ich mich, wie nach einer Stunde joggen. Bücher lesen konnte ich nicht. Mir wurde schwindlig bei den vielen Zeilen. Narkosehirn lässt grüssen. Ich war also etwas eingeschränkt in meinen Tätigkeiten. Trotzdem war mir eine Routine wichtig, um den Tag zu organisieren. Ich wollte so rasch wie möglich wieder wie die „alte“ sein.
Mein Tagesablauf war wie folgt:
Morgens aufstehen, duschen, Tee kochen und danach im Haus etwas herumlaufen…
Manchmal bekam ich lieben Besuch zum Kaffee oder Tee. Ab und zu bekochte mich auch meine Mam, damit mich Etti nicht immer an der Backe hatte. Er hatte zum Ausgleich nebenbei noch seine Arbeit. Ich musste ebenfalls lernen nichts zu tun. Einfach mal den ganzen Tag vor der Glotze sitzen bzw. liegen und schauen, was da so alles läuft. Endlich konnte ich in Ruhe mal Sendungen schauen, die ich sonst nie schaute. Oder sogenannte Serienmarathons durchführen. Beispielsweise meine geliebten Aussie-Serien wie „Wentworth“ oder „Home and away“ (etwas wie Lindenstrasse, aber viel besser) stundenlang schauen. Es gab sogar Frauentausch Down Under. Du wirst jetzt denken: „Klar hast du ein Narkosehirn!“ Natürlich verfolgte ich auch anspruchsvolleres. Genau so bin ich auf die Sendung NZZ-Format gestossen. Es gab eine spezielle Folge über die „FIRE-Bewegung“. Menschen die frühzeitig in Rente, gingen. Ein erster starker Impuls für das heutige Leben von Etti und mir.
In dieser “Zeit für mich und meine Genesung” machte ich mir oft Gedanken, wie schnell es gehen wird, bis ich wieder die „alte“ bin und der Alltag sowie auch die Arbeit mich wieder einholen.
Im sogenannten Hamsterrad – wieder das Gefühl zu haben, zu wenig Zeit und Energie, für das, was einem lieb ist – genau das, was ich gerade jetzt sehr geniesse: mit einem Tee die Vögel im Garten beobachten, Besuch empfangen zu können, zu Hause sein, ME-time ohne schlechtes Gewissen, unbeschwert sein zu dürfen…
Ich brauchte auch wieder Mut, allein nach draussen zu gehen – wie hilft mein Körper mit? Was kann ich ihm schon alles zutrauen? Wo vorher oft (zu oft) zu viel vom Körper abverlangt wurde – weil es halt eben immer ging – fehlte jetzt das Vertrauen in genau diesen Körper.
Das schlimmste war, sich in einer Menschenmenge zu bewegen (z.B. Bahnhof, Einkaufszentrum). Wir sprechen von Herbst 2019. Also vor Corona!
Ich war verletzlich – jedenfalls fühlte ich mich verletzlich. Was, wenn jemand in mich hineinlaufen würde oder mich anrempelt? Ich habe eine frische 20cm lange Narbe am und im Bauch. Das ist ungeschütztes Weichgewebe. Kein offensichtliches Bein im Gips das Jeder und Jede sehen würde, um vorsichtig zu sein.
Zurück im Alltag
Die regelmässigen Arztkontrollen waren im Rahmen. Ich wurde sogar gelobt, wie aktiv ich den Genesungsprozess mit meiner täglichen Routine unterstütze. Die 3 Monate, wie vom Chirurgen vorausgesagt, waren vorbei. Im Januar fing ich wieder mit der Arbeit an. Zum Starten mit einem Beschäftigungsgrad von 50%. Ich bemerkte, wie mein Körper eigentlich noch nicht bereit war. Im Kopf war jedoch diese Stimme: „Was denken sonst die anderen!? Du hast versprochen im Januar für die Prüfungsvorbereitung der Lernenden wieder da zu sein!“ Und meine Generation ist mit „versuch zuerst einmal, du kannst immer wieder nach Hause gehen“ aufgewachsen.
So „kämpfte“ ich mich anfangs durch die Tage und Wochen. Teilweise war es zu viel. Der Körper regierte mit Fieber und Blutmangel. Mit langsamen Verbesserungen der Leistung wurde das Arbeitspensums aufgestockt. Dazwischen immer wieder Tests und eine Eisenkur, damit die Energie-Depots wieder gefüllt sind. Bis ich im April schliesslich wieder Vollzeit arbeitsfähig war. Was mich sehr freute – obwohl die IV-Vertrauensperson davor warnte, dass das alles zu schnell sein könnte. Meine Hausärztin wie auch ich, hatten den Eindruck, dass es so passte. Wir hatten beide keine Vergleichsmöglichkeiten oder Erfahrungsberichte. Die Laborwerte waren gut. Die Faktenlage zeigte keine Einschränkungen mehr.
Wer kennt es? Mitten in der Nacht, eigentlich müde, aber hellwach
Der Frühling verging und ich erfüllte meine Ziele. Im Juni registrierte ich eine spürbar stärker werdende Müdigkeit im Alltag. In der Nacht war ich regelmässig um 1:00 Uhr für eine oder mehrere Stunden hellwach. Das geht sicher wieder vorbei… habe ich gedacht.
Im August ging ich ausserplanmässig zu meiner Hausärztin. Etti und ich hatten ein komisches Gefühl. Ich hatte Stimmungsschwankungen, war schneller genervt und teils überfordert. Meine Hausärztin war etwas ratlos. Die erst kürzlich erhaltenen Laborwerte waren innerhalb der Toleranz. Die Genesung der Leber war nach der Operation auf bestem Weg. Was stimmte also nicht?
Ich meldete mich wieder bei meiner Vertrauensperson bei der IV. Sie riet mir, mich umgehend zu 100% krankschreiben zu lassen und mich für eine Entspannungs-Kur anzumelden. Dies schien mir und auch meiner Hausärztin als „zu übertrieben“. Daraufhin wurde ich von meiner Hausärztin vorübergehend zu 50% krankgeschrieben. Gleichzeitig suchte ich mir Hilfe bei einer Psychologin, um das Geschehene zu verarbeiten. Dies auch für die Krankentaggeldversicherung, da man mir meine „Krankheit“ nicht ansah.
Rückschlag und Wiederaufbau
Im Oktober 2020 – zum Glück schneller als erwartet – erhielt ich meinen 1. Termin bei einer Psychologin, die mir dann Woche für Woche bei der Verarbeitung sehr behilflich war. Nach einigen Therapiestunden und beigezogenem Psychiater, erhielt ich im Januar 2021 die Diagnose eines leichten “Fatigue Syndroms” – zu dieser Zeit noch wenig bekannt. Nun mit Long-Covid zum Glück für alle Betroffene, etwas bekannter.
Durch die Fuchsbandwurmlarve war meine Leber schon länger belastet. Zusätzlich nahm ich ein Medikament zu mir, welches das Wachstum des Parasiten stoppen sollte, jedoch die Leber zusätzlich angriff. Die Operation war erfolgreich, aber eine Belastung. Zusammen mit der wahrscheinlich verfrühten Wiederaufnahme der Arbeit eine Strapazierung für Körper und Geist.
Meinen Körper fehlte eine richtige Regenerierung und meinem Geist die nötige Erholung. Daher kamen die Schlafstörungen und die ganze “Übermüdung”.
Zu dieser Zeit war es für mich sehr schwierig, sich nur auf mich zu konzentrieren. Meine Arbeit in der Kita musste ebenfalls getan werden. Alle hatten genügend Arbeit, sie sollten nicht auch noch meine übernehmen. Obwohl mich meine Psychologin immer wieder darauf aufmerksam machte, mich mehr zu schonen, mehr zu delegieren und loszulassen, hatte ich das Gefühl “das geit de scho!”
Schlussendlich habe ich dann abgegeben und durch sehr gute Unterstützung meiner Psychologin und Hausärztin einen gesünderen Weg gefunden. Die Gespräche und erlernten Übungen ermöglichten mir, mein eigenes Verhalten nachhaltig anzupassen. Einen Weg zu gehen, der es meinem Körper und Geist ermöglicht, seine Balance zu halten. Ich musste lernen, dass die Gesundheit nicht selbstverständlich ist. Ich bin der Meinung, wir sollten alle mehr auf unseren Körper hören und die Signale nicht herunterspielen oder ignorieren. Egal was andere denken. Dieses Selbstvertrauen kommt nicht von heute auf morgen. Es ist aber lernbar.
Lächelnd schaue ich auf diese intensive Zeit zurück. Die Laborwert betreffend Fuchsbandwurmlarve gehen weiterhin zurück. Ich bin gewachsen und froh, das Fatigue Syndrom überwunden zu haben. Dabei habe ich viel gelernt über mich und andere in meinem Umfeld. Dies führte zu Anpassungen in meinem Leben, welche ich nicht missen möchte. Ich bin stolz ich zu sein.
Zum Glück hatte ich stets Etti an meiner Seite – nach der 1. Untersuchung hat er mich in keiner Situation allein gelassen💕 sowie natürlich auch meine Mam, welche immer ein offenes Ohr für mich hatte.

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